Interview mit Andreas Weis von EO


Geschäftsmodelle und Strategien Industrie 4.0

  • Veröffentlicht am 11. Mai 2020
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Bei der Digitalisierung der Industrie konzentrieren sich viele Entscheider auf die technischen Umsetzungen und operativen Chancen. Allerdings wird oft die Notwendigkeit einer vorausschauenden 4.0 Strategie- und Geschäftsprozessentwicklung vernachlässigt. Ein ganzheitlicher Ansatz kann hier nicht nur eine erfolgreiche Umsetzung bedeuten, sondern gleichzeitig ein Unternehmen auch nachhaltig für die Zukunft ausrichten. Ein Interview zum Thema mit dem Interim-Experten Ulrich Köster :

Herr Köster, Sie sind nicht nur ein langjährig erfahrener Interim Manager, sondern halten auch Vorlesungen für den zukünftigen Führungskräftenachwuchs. Wo stehen wir aktuell beim Thema 4.0, was haben wir erreicht und welche Hürden gibt es noch zu überwinden?

Die Digitalisierung findet auf vier Ebenen statt: Marktanforderungen, Geschäftsmodelle, Technologie und Leadership. Die Transformation startet immer mit der Customer Experience (Produkt und Service) und dem daraus resultierenden Geschäftsmodell. Parallel sollten Unternehmen eine digitale DNA, ein Mindset entwickeln. Erst im letzten Schritt folgt die Implementierung von passender Technologie.

Ich sehe in meinen Mandaten häufig eine Vertauschung der Reihenfolge und einen Schwerpunkt auf Technologie. Mit der isolierten Umsetzung von Maßnahmen kann aber keine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie erreicht werden. Das ist jedoch eine Voraussetzung für Industrie 4.0. Ein wichtiger Aspekt sind auch die Mitarbeiter, die auf der spannenden Reise durch Überzeugung, Training und Schulungen mitgenommen werden müssen.

Dennoch muss man auch von einer anhaltenden Skepsis im Mittelstand sprechen, die den wirtschaftlichen Vorteil noch nicht erkennen können. Das Geschäft läuft gut, warum soll ich korrigieren? Oft fehlen auch das nötige Kapital, die digitale Kompetenz und die Bandbreite des Internets. 

Dagegen spricht ungefähr die Hälfte der Mittelständler in Deutschland von einer strategischen Bedeutung. Bei den in Umsetzung befindlichen Unternehmen sind dann auch über 85% der Projekte beim Top Management aufgehängt. 

Ca. 3/4 meiner Mandate beziehen sich immer noch auf „Operational Excellence“, also Kostenreduktion, Effizienzgewinn und Prozessoptimierung. Eine meiner Hauptaufgaben besteht darin, die Digitalisierung bei jedem Mandanten aktiv anzusprechen und auf die Notwendigkeit einer Veränderung hinzuwirken.

Das Verständnis vieler Führungskräfte konzentriert sich auf kurzfristig umsetzbare Wachstumssteigerungen oder die Senkung der Betriebskosten, aber weniger auf eine gesamt und nachhaltig wirkende Strategieentwicklung. Lässt die Industrie hier Chancen liegen?

Nun, das ist sicher zu kurz gedacht. Die Megatrends in 2020 haben bereits die Märkte verändert, z.B. das Thema Neoökologie, Gesundheit und Individualisierung. In meinen Seminaren stelle ich zehn Megatrends vor und zeige Geschäftsmodelle und Branchen auf, die bereits heute toxisch sind.

Es geht also primär darum, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Eine höhere Profitabilität ist dann ein schönes Add-on.

Ein Beispiel: Von 1990 bis 2010 war Nokia einer der größten Anbieter von Mobilfunkgeräten weltweit, verpasste aber dann den Trend hin zu Smartphones. Eine Partnerschaft mit Microsoft brachte nicht den erwünschten Erfolg, sodass sich Nokia zum Verkauf der Mobiltelefonsparte in 2014 entschloss. Seit 2013 ist Nokia nach Übernahme von Alcatel-Lucent einer der größten Netzwerkausrüster – ein völlig neues Geschäftsmodell.

Denken Sie auch an Branchen wie Medien, Versicherungen, Banken und Handel, die bereits jetzt großen Veränderungen unterworfen sind.

Im Strategieprozess müssen auch die tatsächlichen und zukünftigen Qualifikationen der Mitarbeiter hinterfragt werden. Sie geben u.a. auch Vorlesungen an Universitäten und setzen sich mit den Lerninhalten der jüngeren Generation auseinander. Wie unterscheiden sich Ihre Vorlesungen von heute im Vergleich zu vor 5 Jahren?

In der Tat erleben wir gerade einen Umbruch in der Lehre. Die klassischen Themen im Operations Management sind jungen Leuten nur noch schwer zu vermitteln. Ich versuche den Spagat, indem ich klassische Grundlagen anspreche und zugleich mit Gedanken des Lean Managements, der Agilität und digitalen Transformation verknüpfe.

Aber lassen Sie uns auch in die Firmen schauen. In den Unternehmen wird es mehr und mehr zu einer Projektifizierung kommen. Das Tagesgeschäft wird mit einem Teil der Organisation abgewickelt – meist funktional und hoch automatisiert. Die stetige Veränderung und Anpassung an den Markt bedarf aber einer Projektorganisation. Etabliert hat sich zum großen Teil ein agiles Projektmanagement, bei dem Teams sich für das Projekt zusammenfinden und nach dem Projekt auflösen. Auch holokratische Systeme finden Anwendung.

Es ist jedenfalls eindeutig, dass der Weiterbildung in den kommenden Jahren eine zentrale Bedeutung zukommt. Hier wird auch das Personalwesen zunehmend gefordert werden.

Lassen Sie uns das Thema Mindset und Weiterbildung noch etwas näher beleuchten. Eine durchgängige 4.0 Strategie beeinflusst nicht unwesentlich auch die Unternehmenskultur und die Mitarbeiter müssen gewohnte Prozesse und Denkweisen durch Neue ersetzen. Sehen Sie die HR-Abteilungen hier gut aufgestellt, insbesondere zu Change-Themen und nicht nur die fachlichen Weiterbildungen zu dem ein oder anderen neuen Tool? 

Industrie 4.0 funktioniert nur im Zusammenspiel mit Personal 4.0! Dem Personalwesen fällt die Aufgabe zu, Talente zu finden, zu fördern und auch zu halten. Der richtige Mitarbeiter als Leistungsträger, das Humankapital, nimmt eine zentrale Rolle für Unternehmen ein und wird ausschlaggebend für den zukünftigen Erfolg sein. Die HR-Abteilung muss deshalb mit in die Unternehmens-Strategie einbezogen, die Mitarbeiter technologisch geschult werden und die zukünftigen Anforderungen in der Komplexität verstehen. Die Personalabteilung muss der Zeit voraus sein, um die Transformation voranzutreiben.

Nach meiner Erfahrung wird diese wichtige Rolle durch die HR-Abteilung allzu oft nicht ausgefüllt. Durch den zunehmenden Fachkräftemangel wird es schwieriger werden, Positionen extern zu besetzen. Demzufolge rückt das Talent Management des eigenen Mitarbeiterpools in den Vordergrund. Die Identifikation von High Potentials, das Herausarbeiten von Entwicklungsmaßnahmen, die Analyse von Leistung und Entwicklungserfolgen sollte zum Tagesgeschäft gehören.

Nach meinen Beobachtungen findet im Personalbereich ein Umbruch statt. Mit Hochdruck wird daran gearbeitet, der neuen Aufgabe gerecht zu werden und die Lücken aufzuarbeiten. Dennoch bleibt nicht viel Zeit.

Was bedeutet es für etablierte Unternehmen, wenn Mitarbeiter mit völlig neuem Mindset auf den erfahrenen Business Manager mit 20 Jahren Erfahrung, aber eher klassischen Werten und Ausbildung treffen? Wo ergeben sich hier Risiken oder Chancen? Was raten Sie langjährigen Führungskräften?

Dieses Szenario erlebe ich häufig und es führt in der Tat auf beiden Seiten zur Frustration, wenn nicht adäquat moderiert wird. Ich wende in solchen Fällen das 3-Phasen-Modell von Lewin an. Grundsätzlich sollte jede größere Veränderung durch eine klare Kommunikation der Notwendigkeit, Schulungen aller Mitarbeiter und das Setzen von Standards und Prozessen begleitet werden.

Ist der Widerstand gegen eine Veränderung zu groß, oder muss eine Veränderung schnellstmöglich durchgeführt werden, sollte auch eine Ausgründung / Parallelorganisation erörtert werden. 

Sie erwähnten eben das Beispiel Nokia. Sind Großkonzerne generell Vorreiter und Treiber von 4.0 Strategien und wie sieht es speziell im deutschen Mittelstand aus. Wo stehen wir hier und wo sehen Sie ggf. noch großen Handlungsbedarf?

Großkonzerne unterhalten eigene Strategieabteilungen, die sich mit innovativen Geschäftsmodellen, Digitalisierungsthemen und anderen Trends in der Geschäftswelt beschäftigen. Naturgemäß braucht aber eine Umsetzung sehr viel Zeit. Leichter hat es da per se der Mittelstand. 

Der Mittelstand hat zuletzt enorm aufgeholt. Ich freue mich über eine ganze Reihe von innovativen und digitalen Geschäftsmodellen im Mittelstand, auch getrieben durch den globalen Wettbewerb. Industrie 4.0 ist im Mittelstand Chefsache und hat deshalb immer eine hohe Priorität. 

Gut die Hälfte der Unternehmen im deutschen Mittelstand sind auf einem guten Weg, haben entweder bereits digitale Geschäftsmodelle implementiert, oder sind zumindest dabei, digitale Technologien einzusetzen und somit deutlich effizienter zu arbeiten. 

Ein großer Teil von Mittelständlern hat sich noch nicht für Industrie 4.0 entschieden. Das liegt zum Teil daran, dass man sich in Nischen bewegt und deshalb keinen positiven Effekt durch die Digitalisierung erwartet. Zum Teil sind das aber auch temporäre Verzögerungen durch den Generationenwechsel und Unternehmensnachfolge. Auch die gute Profitabilität ist oft ein Hemmschuh für Veränderung.

Sie sind langjähriger Experte in Logistik und SCM Prozessen. Geben Sie uns doch noch ein praktisches Beispiel aus diesen Bereichen. Wie verändert sich die Supply Chain durch 4.0 Prozesse und Denkweisen. Haben Sie auch hier ein Beispiel, welches Unternehmen dies bereits erfolgreich umgesetzt hat?

Reden wir mal über „selbststeuernde Supply Chains“. Schon heute bekommen Werkstücke, Produkte, Ladeeinheiten eine digitale Identität. Man spricht auch von einem Digital Twin. Mit dieser digitalen Identität lässt sich ein Zukaufteil, ein Werkstück oder ein Produkt über die gesamte Wertschöpfungskette eindeutig identifizieren, lokalisieren und steuern. Gelangt z.B. ein Zukaufteil in den Wareneingang, wird es zukünftig durch Cyber-Physical-Systems mit modernen Identifikationstechnologien erkannt und eigenständig durch den Produktions- und Logistikprozess geroutet. Dabei wird der Status der Verarbeitung in Echtzeit fortgeschrieben. Ein großer Schritt hin zu einer End-To-End Visibility.

Ich möchte auch noch einmal über Anticipatory Logistics sprechen. Viele der Plattformhändler setzen Predictive Analytics ein, im wesentlichen Data-Mining Prognosetools, um das Einkaufsverhalten von Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen zu können. Dazu werden z.B. das Wetter, Feiertage, Wochentage, Vergangenheitswerte, Saisonalitäten, Fußballspiele etc. verwendet. So berechnet der Handel seine Nachfrage bereits bevor der Kunde bestellt hat, bzw. eine Kaufentscheidung getroffen hat. Auf diese Weise können Lagerbestände in einem Lagernetzwerk im Vorhinein angepasst werden, um Stock-Out Situationen zu vermeiden, Kosten zu reduzieren und Transporte zu minimieren. Amazon hat bereits 2013 ein Patent auf „Anticipatory Package Shipping“ angemeldet und seitdem weiter verfeinert. APS ist ein wesentlicher Baustein des Amazon Leistungsversprechens, innerhalb von 24h nach Bestellung auszuliefern.

Vorbereitung ist wichtig, um in einen 4.0 Prozess einzusteigen. Sie bereiten aktuell eine Seminarreihe zu diesem Thema vor. Erzählen Sie uns etwas über die Inhalte und die Zielgruppen.

Ich habe mich selbst durch das Seminar „Digital Transformation“ bei meinem Kollegen Dr. Disselkamp inspirieren lassen. Doch für mich stellte sich immer die Frage, was bedeutet die Transformation für die unterlagerten Prozesse, z.B. Produktion, Supply Chain Management, Logistik, HR ….

Ich beschreibe in meinem Seminar und Workshop den aktuellen Stand der digitalen Transformation. Dazu gehe ich auf die vier Teilbereiche (Market, Business, Technology und People) ein und zeige die Zusammenhänge auf. Je nach Seminar wird im letzten Schritt zusammen mit dem Team die zukünftige Auswirkung auf den bestimmten Funktionsbereich erarbeitet. 

Die Zielgruppe meiner Seminare sind Fach- und Führungskräfte aus den Bereichen Strategie, Organisation, Sales, Produktion, Supply Chain Management, Einkauf, Logistik, Personalwesen und Beratung.

Ich bedanke mich für das Interview !

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Weitere Infos zu konkreten Seminarreihen oder Webinaren erhalten Sie direkt bei Herrn Köster oder auch gerne durch EO Saarlouis 

Email : saarlouis@eoexecutives.com 

Anstehende Termine werden wir mit zeitlichem Vorlauf auf unserer Webseite und in den diversen Social Media Plattformen bekannt geben.

 

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